Nach dem großen Zuspruch im letzten Jahr beim Geschichtshistorischen Nachmittag, begrüßten Ortsvorsteher Martin Naumann und der 1. Vorsitzender Bernd Völker in diesem Jahr etwa 30 interessierte Teilnehmer zu der Gemeinschaftsveranstaltung von Ortsbeirat Speckswinkel und Arbeitskreis Festung Ziegenhain e.V.
Herbert Losekam, Zoll- und Ortshistoriker, startete seine orts- und zollgeschichtliche Führung am ehemaligen Herrschaftlichen Gut (Forsthaus) in der Nonnengasse und wies immer wieder auf die Verbindungen zur Grafschaft Ziegenhain hin. Das Dorf Speckswinkel war im Hochmittelalter eine reine gräflich Ziegenhainer Gründung und wurde 1223 in einer Urkunde des Klosters Haina (HStAM K Nr. 232) erstmals urkundlich erwähnt.
Losekam erläuterte die Bebauung, die Feldblöcke (Gewanne), das Gemeindeland (Allmende) sowie die Lebensverhältnisse im damaligen kleinen Haufendorf im Hoch- und Spätmittelalter. Vom 13. bis 16. Jahrhundert entwickelte sich die Bevölkerung von 10 bis 40 Hausgesessene (männliche Haushaltsvorstände mit durchschnittlich 8 Köpfen). Im Jahre 1493 wurde eine romanische Wehrkirche errichtet, die dem Schutzpatron der Fuhr- und Kaufleute, dem heiligen Nikolaus geweiht wurde. Sponsor war neben den durchziehenden Kölner Kaufleuten auch Graf Johann der II. von Ziegenhain, der 1443 an die Pfarrei das Recht des Bierzapfs (HStAM Bestand 318 Marburg Nr. 53) auf unbestimmte Zeit verlieh.
Der zweite Teil der Führung betraf die ehemalige Zollstelle, das damalige Zollabfertigungsverfahren und die bedeutende Familie Zoller von Speckswinkel. Herbert Losekam erklärte den damaligen Verlauf der Langen Hessen und deren Bedeutung für das Geleit und den Landzoll für die Kaufleute, wenn sie jährlich zweimal nach der Messe in Frankfurt zur Messe nach Leipzig mit ihren Fuhrwerken unterwegs waren.
Die Einhaltung des sogenannten Zollstraßenzwangs und die Abgabe einer Zollanmeldung für alle mitgeführten Beförderungsmittel und Tiere hatte absolute Priorität, Verstöße dagegen wurden resolut geahndet. Die Ersterwähnung einer größeren Zollstelle in Speckswinkel erfolgte in einer Urkunde im Staatsarchiv Marburg (HStAM Urkunde 1 Nr. 1696), in der Graf Johann II. von Ziegenhain und Nidda seiner Frau Elisabeth u.a. den Zoll zu Speckswinkel als Wittum verschreibt. 1450 wurde dann aus der gräflichen Ziegenhainer eine landgräflich Hessische Landzollstelle.
Bedeutendes Familienmitglied der Zoller und berühmtester Sohn des Dorfes war der 1510 in Speckswinkel geborene Konrad Zoller von Speckswinkel. Nach einer guten Schulausbildung studiert er Rechtswissenschaften an der Universität Marburg und wird danach erster Staatssekretär von Landgraf Philipp dem Großmütigen sowie Mitglied des Hofrates in Kassel.
Der Historiker wies darauf hin, dass das kleine Dorf im 16. Jahrhundert sowohl Standort einer Lokalverwaltung (Zollstelle) als auch einer Mittelinstanz (Oberförsterei) war und zudem noch einen gebürtigen Speckswinkeler auf höchster Staatsebene im Hofrat stellte. Aufgrund dessen sowie der Lage an einer wichtigen Handelsstraße (Lange Hessen) war das kleine Dorf bereits in den ältesten Kartenwerken von Hessen („Hessenlandt“ 1550–1560 u. 1570 und „ATLAS Hassia Landtgrauiatus“ 1579) eingezeichnet.
Zum Schluss ging der Historiker noch auf die Bedeutung der damaligen Familie Zoller von Speckswinkel und den Nachbau des historischen Zollstocks am Zollhof ein. Die geschichtliche Ortkernführung klang mit Bratwurst vom Grill und Getränken aus. Wie sagte dann zum Abschied der Vorsitzende des Stadtgeschichtlichen Arbeitskreises in Treysa, Bernd Raubert: „Es hat sich wieder mal gezeigt, wie eng wir geschichtlich tatsächlich miteinander verwoben sind und das ist ein Pfund mit dem wir wuchern sollten und können“.